header
 

Binnen weniger Stunden war das Wien-Konzert von Nine Inch Nails ausverkauft. Nur wer es schaffte eines der begehrten Tickets zu ergattern, durfte es miterleben, das große Rock-Spektakel.

Trent ReznorVorweg ein Anliegen, eine Bitte, ein verzweifelter Aufruf: Hochgeschätzter Herr Reznor, lassen Sie das mit dem Bodybuilding sein. Oder halten Sie sich beim Hantieren mit Hanteln zumindestens ein wenig zurück. Ich weiß schon: Sie sind ein anderer geworden. Und wenn man keine Drogen mehr nimmt und auch dem Alkohol abgesagt hat, dann braucht man irgendeinen Ausgleich. Soetwas hat in Ihrem Fall jedoch zur Folge, dass Sie zwar nicht mehr wie ein ausgemergelter Junkie oder aufgeschwemmter Säufer aussehen, dafür aber wie ein deutlich zu stark aufgepumpter Muskelprotz. Und das passt einfach nicht zu Ihnen. Zumindestens wenn es nach dem Bild geht, das ich mir als jahrelanger Fan von Ihnen zurechtgelegt habe. Ich möchte sogar behaupten, es sieht peinlich aus. Erst recht mit den hautengen, knielangen Hosen und dem ärmellosen Shirt, was Sie bei Ihrem Wien-Gastspiel als Bühnen-Outfit wählten. Das erinnerte mich dann doch zu sehr an diese überdimensionalen Typen in den Folterkammern, wo tagtäglich Unmengen an Kilos gestemmt werden. Wobei ich Ihnen zu Gute halten möchte, dass Sie bei dem erwähnten modischen Irrweg wenigstens auf die Farbe Schwarz gesetzt haben. Man stelle sich als Krönung der Geschmacklosigkeit auch noch ein weißes Unterleiberl vor. Trotzdem: Geht das so weiter, dann habe ich Sie in absehbarer Zukunft schon als eine Art zweiter Henry Rollins vor Augen. Oder Sie verkommen zu einer optischen Naturkatastrophe im Stile eines Glenn Danzig. Und das wollen wir doch alle nicht.

Elf Jahren nach der Gehirnwäsche.

Mit der Fragwürdigkeit der optischen Komponente des NIN-Konzertes in der Arena ist aber auch schon all das Negative dieses Events abgehandelt. Denn Performance und Musik - und um das geht es schlussendlich auch einzig und allein - waren von gewohnt hoher Qualität. Trent Reznor und seine neuformierte Live-Band boten ein schnörkelloses Set, das sich als ausgewogene Mischung aus unverzichtbaren NIN-Klassikern, den geradlinigeren Stücken von "With Teeth" und einigen selten gespielten Nummern - wie das Joy Division-Cover "Dead Souls" - präsentierte. Eröffnet wurde die etwas andere Greatest Hits-Show mit dem obligatorischen "Pinion", welches nahtlos in "The Frail" und "The Wretched" überging. Und plötzlich war es wieder da, dieses Zittern und Zucken, was jenes seltene Ausflippen ankündigt, das man nur bei wirklich außergewöhnlichen Live-Gigs miterleben darf. Heutzutage wiederfahren mir solche Gefühlsausbrüche nicht mehr allzu oft. An diesem Abend gab es allerdings kein Zurückhalten mehr.

Trent ReznorDabei durften natürlich auch all die Erinnerungen nicht ausbleiben, an dieses unvergessliche Konzert vor fast genau elf Jahren. Selber Ort. Selbe Band. Auch wenn im Gegensatz zum 11. Juni 1994 diesmal das vorsommerliche Wetter mitspielte. Wobei festzuhalten ist, dass jenem nass-kalten Ambiente von damals im Zusammenhang mit dem im künstlichen Nebel getränkten Gothik-Spektakel schon auch etwas abzugewinnen war. Ansonsten dasselbe Prozedere: Die perfekte Symbiose aus industriellen Klangorgien und auf der Bühne offen dargelegter Wut. Letzteres allerdings nicht mehr ganz so ausgelassen wie früher. Und das ist gut so. Immerhin hat der gute Herr Reznor inzwischen auch schon beachtliche 40 Lenze am Buckel. Hin und wieder zuckte er dann aber doch noch aus, schleuderte Mikroständer quer über die Bühne, zerschmetterte Gitarren und kickte Keyboards um. So benötigte es auch diesmal zwei Roadies, um nach Reznors kalkulierten Wutausbrüchen wieder für Ordnung zu sorgen. Und war Mikro oder Instrumentarium mal nicht dort, wo es eigentlich sein sollte, dann konnte es schon vorkommen, dass der dafür Verantwortliche den Zorn des Meisters zu spüren bekam. Wenn auch nur in Form einer Wasserdusche. Böser, böser Trent.

Besser als in Deutschland ...natürlich.

Zum neuen Line-Up von NIN: Wo sich Keyboarder Alessandro Cortini und Bassist Jeordie White - unser allerliebster Twiggy Ramirez, wie er sich bei Marilyn Manson noch nannte - eher zurückhielten und im Hintergrund agierten, sorgte die andere Hälfte der Live-Band für so manchen akustischen wie auch optischen Höhepunkt. Drummer Jerome Dillon - das letzte Überbleibsel der Fragility-Tour - als großartig wie immer zu beschreiben, kommt einer Untertreibung gleich. Dieser Mann ist schlichtweg der Wahnsinn, ein Meister seiner Zunft. Und der neue Gitarrist, jener Mann, der einen Robin Finck vergessen lassen musste? Keine Sorge, Aaron North, Ex-Mitglied von The Icarus Line, kann man ebenso wie seinen Vorgänger als wahrlich krankes Genie an der Gitarre bezeichnen. Was der Gute an diesem Abend mit seinem Instrument abgezogen hat, war schon bemerkenswert. Es schien fast so, als spielte er, was ihm auch immer gerade in den Sinn kam. Jede Menge dreckige Riffs abseits jeglicher Norm. Passend dazu stets die Gitarre wüst durch die Lüfte schwingend, wobei ein Exemplar am Ende des Gigs am Bühnengerüst hingerichtet wurde. Wie beschrieb Trent Reznor den neuen Live-Gitarristen von NIN im Vorfeld dieser Tournee: "In retrospect, I believe we were looking for someone to fill Robin’s shoes. When Aaron walked through the door, he pissed on Robin’s shoes and kicked them out the door where they belong - effectively closing a chapter. A great chapter, but one that is in the past." Recht hat er.

100 Minuten lang wurde an diesem Abend inmitten der altehrwürdigen Gemäuer der Arena hemmungslos abgerockt. Alles in allem mag es zwar nicht der beste NIN-Gig gewesen sein, der mir bislang zu Augen und Ohren kam, aber immer noch um Längen besser als der verdammte Rest. Da störte es dann auch nicht weiter, dass die Kommunikation seitens der Band mit dem Publikum so gut wie nicht vorhanden war. Eine etwas umfangreichere Zwischenansage gab es gegen Ende des Auftritts dann doch. Eine schmeichelhafte noch dazu: "You were a fucking great audience. This is a fucking great town. We just played two shitty festivals in Germany [1] [2] and we thought we were gonna kill ourselves. We needed this. Thank you." Trent Reznor scheint zu wissen, wie man sich beim österreichischen Publikum einschleimt.

Schade nur, dass die Dresden Dolls, die großartige Vorband des Abends, bei diesem großangelegten Rock-Spektakel einfach untergehen musste. Trotz charmanter Zwischenansagen in deutscher Sprache und hinreißend naivem "Brechtian Punk Cabaret". Ebenso schade, dass ich das muskelbepackte Erscheinungsbild von Hulk ... äh ... Trent Reznor nicht und nicht aus dem Kopf bekomme. Zuerst die verdammten Drogen. Und jetzt dieser Fitnesswahn. Tragisch, das alles.

Nine Inch Nails / Dresden Dolls
14.06.2005 - Wien, Arena (Open Air).


NIN - 14.06.2005, Arena.Setlist:
Pinion / The Frail / The Wretched / Wish / Sin / The Line Begins To Blur / March Of The Pigs / Something I Can Never Have / The Hand That Feeds / Terrible Lie / Closer / Love Is Not Enough / Home / Burn / Reptile / You Know What You Are / Suck / Gave Up / Hurt / Dead Souls / Starfuckers Inc. / Head Like A Hole. [nin.com]

Meine Eingaben merken?

Titel:

Text:

JCaptcha - du musst dieses Bild lesen können, um das Formular abschicken zu können
Neuen Code anfordern

 

 

development